Pio der Girlitz

Ich war im Krankenstand als mir eine Pflegerin einen Vogel brachte. Er saß auf dem Weg und rührte sich nicht vom Fleck und so nahm sie ihn einfach mit. Sie hatte ihn in der Hand, aber er reagierte nicht, nur die Augen lebten. Ich untersuchte den fast leblosen Körper, fand aber keine Verletzung und so dachte ich, dass er vielleicht an eine Fensterscheibe geflogen sei und eine Gehirnerschütterung habe, was ja dann nach einer bestimmten Zeit wieder gut wird.

Da er sich in meiner Hand gut fühlte, durfte er eine ganze Weile bleiben. Ich tränkte einen Wattebausch mit einer Traubenzuckerlösung und bot es ihm an - er reagierte nicht, was voraus zusehen war. Vorsichtig sperrte ich den Schnabel und schob etwas angefeuchtete Watte dazwischen. Es dauerte eine gute Zeit, bis sich ein Reflex zeigte - Nun gleich nochmals ein Tröpfchen Zugabe und es wurde angenommen. - Jetzt kam eine ganz große Erschöpfung über das Kerlchen. In meiner Hand schlief er ein, aber ich merkte, dass er sich gar nicht entspannte und so machte ich ihm ein warmes Nestchen und setzte ihn hinein, da ich glaubte ,dass er eventuell aus Angst sich nicht entspannen könne. Er schlief dann sehr lange - Zwischendurch versuchte ich ihm Vogeldiät zu geben, was dann auch angenommen wurde als ich es ihm in den Schnabel schob. Langsam, ganz langsam wurde er lebendiger. Er setzte sich vorsichtig und ganz langsam zurecht. Schon dachte ich an eine innere Verletzung oder Prellung - doch das müsste sich anders zeigen, es sah auch nicht aus, als ob er Schmerzen hätte.

Als ich ihn wieder versorgte merkte ich, dass er bis in die Zehen total verkrampft war - Ich lies ihn also im warmen Bettchen was ihm scheinbar gut tat. Am andern Tag sah er recht munter aus und fraß auch das Eingeschobene mit Appetit, aber sonst war keine Besserung spürbar. Am nächsten Tag ging ich intensiv daran die Verkrampfung zu lösen. Ich massierte die eingezogenen Zehen und wie es schien, tat es ihm nicht weh. Nun machte ich ein warmes Bad und ließ die Füßchen frei zwischen meinen Fingern ins Wasser hängen. Als ich das Körperchen tiefer ins Wasser tauchte merkte ich, dass die Zehen sich streckten und auch in den Füßchen war eine Reaktion zu spüren. Noch ein paar Übungen und dann raus mit ihm. Zum Trocknen wickelte ich ihn in ein warmes Tüchlein und hielt ihn in meiner warmen Hand. Nach etwa 5-7 Minuten merkte ich, dass er raus wollte, - eine neue Reaktion! Da er noch nicht ganz trocken war strich ich mit einem weichen Tuch in Federnrichtung und da kam ein leichter Gegendruck und als ich ihn wieder ins Nestchen setzen wollte, krabbelte er heraus und so setzte ich ihn im Vogelbauer auf den Boden und siehe da er zog sich auf ein niederes Stängchen - da saß er glücklich, aber müde. Schnell noch eine Schale mit Körnern und Wasser gerichtet und er fraß und trank, kletterte wieder auf sein Stängchen und schlief lange. - Dann ging es rasch aufwärts, aber er flog nicht. Ich übte mit ihm, setzte ihn auf meinen Finger, hob die Hand und ließ sie mit Schwung in die Tiefe, aber Pio regte keinen Flügel. Ich ließ ihn auf eine weiche Unterlage fallen, doch kein Abfangen durch die Flügel, er ließ sich fallen wie ein Stein.

Die Verkrampfung die am ganzen Körper war, hatte sich aus den Flügeln noch nicht gelöst.

Nun ging die ganze Prozedur mit Baden und üben - Flügel strecken , anlegen, strecken, anlegen, neu los und es hatte Erfolg, - es war herrlich! Als Pio einmal nach dem Schlafen seine Flügel streckte, hätte ich fast geweint vor Freude.

Bis zum Fliegen war allerdings noch ein weiter Weg. Es war am Anfang mehr ein Hüpfen als ein Fliegen. Er hüpfte vom Sims auf meine Hand die etwa 10- 15 cm. entfernt war und auf der sein Lieblingsfutter lag ( Kolbenhirse ) Dann übten wir das gleiche in die Höhe, aber das ging noch nicht , er setzte zwar an, aber dann verließ ihn scheinbar der Mut.

Aber egal, üben wir einfach in gleicher Ebene mit immer größerer Entfernung. An einem Mittag wollte er zu mir fliegen, etwa 1 ½ Meter und er schaffte es - bis vor meine Füße. Es war ein wunderschöner Flug mit guter Landung.

Ich lockte ihn wieder in die Höhe und nach einigen Versuchen klappte es tatsächlich. Von da ab war kein Halten mehr, er übte, übte! Scheinbar wollte er in kurzer Zeit alles nach holen was er versäumt hatte.

Vor meinem Fenster standen Bäume und so stellte ich den Vogelbauer mit noch geschlossenem Türchen ans offene Fenster, damit Pio das Leben und Treiben der anderen Vögel im Baum beobachten konnte. Ein paar mal kamen auch Vögel ans Käfig und ich merkte unser Patient wollte raus.

An einem schönen Tag ging das Türchen auf und Pio durfte wählen - und er wählte Beides. Er flog einige Zeit hin und her, dann blieb er auch schon mal einige Tage weg und kam dann von irgend woher wieder angeflogen. Man merkte er fand sich wieder zurecht und er war sehr munter.