Schwalbe und Spätzchen

Ein Jahr nach dem schönen Erlebnis mit der Kohlmeise brachten mir meine Mädchen ein Spätzchen und bald darauf nochmal eins, im Alter waren beide etwa gleich. Anfangs machten alle gute Fortschritte, doch dann blieb eines immer etwas hinter den andern zurück und es wurde von dem andern auch nicht so recht angenommen. Trotzdem waren alle zwei lustige und liebe Kerlchen.

Warum eigentlich Spatzen frech genannt werden ist mir bis heute noch nicht klar,- erst recht nicht warum man Dreckspatz sagt. Beides traf bei meinen Spätzchen nicht zu. Lustig waren sie, aber nicht frech, und zudem waren sie sehr reinlich, wenn es möglich war badeten sie einige mal am Tag.
Bei meinen Spatzen war gerade großes Baden, als mir die Schwalbe Sissi gebracht wurde. Ihre Flügel und ihr ganzes Gefieder war total verklebt. Ich suchte das verängstigte Tier erst mal zu beruhigen. Ich fing ein paar Fliegen und schon nach der Dritten merkte ich, dass sie die Angst mehr und mehr verlor und die vierte Fliege nahm sie schon selbst aus meiner Hand.

Doch nun musste die Prozedur der Reinigung beginnen. Zum Glück konnten die Federn mit warmen Wasser gereinigt werden. Allerdings hatte die Schwalbe ein paar wichtige Flügelfedern verloren, an einer Seite fast alle Handfedern, so war es eigentlich klar, dass sie nicht mehr fliegen konnte.

Geduldig ließ unser Neuling alles über sich ergehen. Nach einer viertel Stunde, mit kleinen Pausen dazwischen, war sie so einigermaßen sauber. Den Rest hoffte ich würde sie selbst noch schaffen wenn sie Trocken sei. Sie bekam ein vorgewärmtes Nestchen, nochmals ein paar Fliegen und dann schlief sie fast zwei Stunden.

Als sie wieder erwachte kroch sie aus dem Nest und nachdem wieder ein paar Fliegen verspeist waren ging sie tatsächlich ans Putzen und Ordnen der Federn.
Gespannt wartete ich ,ob sie das Fliegen versuchen würde.

Doch sie war bald wieder müde und schlief nochmals.

Inzwischen machte ich mir Gedanken wie wohl eine Schwalbe in Gefangenschaft ernährt werden muss, da ja so viele Fliegen gar nicht zu fangen waren. Ich versuchte es mit rohem gehackten Kalbfleisch. Die Kostumstellung war sehr schwierig, da ja auch die Nahrungsaufnahme ganz anders war als es die Schwalbe gewohnt war. Ich konnte nur ganz winzig kleine Portionen geben, sonst wurde alles wieder ausgespuckt. Am zweiten Tag ging es allerdings schon besser. Auch brachten meine Schüler Fliegen soviel sie nur finden konnten. Sie hatten sogar die Idee die Fliegen lebend zu bringen und so ging es unserer Schwalbe recht gut.

Ja und was ich befürchtet hatte traf ein, unsere Schwalbe konnte nicht mehr fliegen.—Sie musste bei uns bleiben bis die Federn nachgewachsen waren. Doch da zeigte sich auch gleich das zweite Problem, denn es war nicht mehr lange bis zum Abflug der Schwalben.- Aber noch hofften wir, denn Sissi machte gute Fortschritte und fügte sich gut ein.

Inzwischen waren alle 3Vögel zu unserer bereits bekannten Familie umgezogen. Dort hatten sie einen idealen Raum mit Licht und Wärmemöglichkeit und so konnte ein gutes Klima geschaffen werden.

Als wir uns gerade so richtig sicher fühlten, ging unsere kleine Sissi bei Nacht ganz leise von uns. Sie saß fast wie Biggi die Kohlmeise am Morgen in einer Ecke des Vogelbauers.

Gleich wurde Sissi heraus genommen und der Vogelbauer gereinigt und desinfiziert, damit nicht etwaige Krankheitserreger auch den Spätzchen schaden würden.

Das kräftige Spätzchen nahmen keine Notiz vom fehlen der Schwalbe. Doch unser zartes Spätzchen suchte Sissi. Sie hatte sich die Freundschaft mit Sissi hart erkämpft, denn als der kräftige Spatz das Schwälbchen jagte, stellte sie sich dazwischen und schützte so die Schwalbe vor den Angriffen und bald schon kam eine liebevolle Annäherung der Beiden zustande. Saß Sissi auf der Stange kam auch gleich das Spätzchen und setzte sich ganz eng, fast gedrängt zu der Schwalbe. Schon bald verlor der große Spatz das Interesse an der Schwalbe – doch das kleine Spätzchen behielt sich das Recht vor, Partner der Schwalbe zu sein. Kam der andere Spatz zu nahe verjagte sie diesen regelrecht

Doch nun fand sie Sissi nicht mehr. Sie suchte und suchte – sie hing am Gitter des Vogelbauers und löste sich nicht.

Als das Türchen geöffnet wurde ging sie hinein, schaute in der Ecke nach, in der Sissi gesessen hatte, sie flog wieder heraus, flog wieder hinein – es war zum Erbarmen!

Am Nachmittag saß das Spätzchen in der gleichen Ecke in der morgens die Schwalbe saß und man merkte, dass sie trauerte. Alle Zuwendung half nichts. Am andern Morgen war auch unser Spätzchen der Schwalbe nachgeflogen.

Es hat mich tief erschüttert zu welcher Liebe auch Tiere fähig sind!

Das Spätzchen kannte keinen Rassenhass – Ja, es stand mit einem Mut, der fast über ihre Kräfte ging, für die Schwalbe ein und besiegelte die Freundschaft mit dem Tod.